Rückblick auf Veranstaltungen des Thüringer Landesbeauftragten

18. Juli 2024 - Umweltgottesdienst in Marisfeld am 8. Juli 1989

Am Donnerstag, 18.07.2024, fand im Foyer des Stadtarchivs Suhl eine Veranstaltung zur Erinnerung an den Umweltgottesdienst in Marisfeld statt. Der Umweltgottesdienst am 8. Juli 1989 war ein Meilenstein für die Demokratiebewegung in Südthüringen, wie der Zeitzeuge Bernd Winkelmann im Gespräch erklärte. Dorfbewohner und christliche Umweltgruppen kamen zusammen, um gegen die Errichtung einer Mülldeponie im sogenannten Teufelsloch, einem Landschaftsschutzgebiet bei Marisfeld, Stellung zu beziehen. Die Bewohner von Marisfeld, Schmeheim, Dillstädt und weiteren Dörfern befürchteten, dass die geplante Deponie auch für „Westmüll“, d.h. Abfälle aus der Bundesrepublik Deutschland, genutzt würde und kritisierten die fehlenden Informationen von den damals zuständigen Behörden.​

Eingeleitet wurde die Veranstaltung durch die Suhler Stadtarchivarin Andrea Walther, die wesentliche Fakten zu Marisfeld in der DDR und zur Rolle der Landwirtschaft in der Region berichtete. Die Marisfelderin ließ dabei auch persönliche Erinnerungen an die DDR-Zeit mit einfließen, wie die Zwangskollektivierung auf dem Dorf und das Aufbegehren der Dorfbewohner gegen die Mülldeponie. Anschließend ging unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Anke Geier in einem Impulsvortrag auf die Umweltpolitik und die Umweltbewegung in der DDR ein. Im Vortrag wurde deutlich, dass der Umweltschutz gegenüber der wirtschaftlichen Entwicklung in der DDR immer das Nachsehen hatte. Die verheerenden Folgen der „Nicht-Umweltpolitik“ der SED wurden vor allem ab Mitte der 1970er Jahre deutlich mit Waldschäden, einer extremen Schwefeldioxidbelastung der Luft durch die Verbrennung von schwefelreicher Braunkohle und auch durch eine erhöhte Belastung des Wassers und der Böden durch eine intensivierte Landwirtschaft.

​Das von Anke Geier moderierte Gespräch mit dem Zeitzeugen und Pfarrer im Ruhestand, Bernd Winkelmann, skizzierte dann die Entwicklungen bis zum Umweltgottesdienst. Bernd Winkelmann wurde damals vom Ministerium für Staatssicherheit als der Initiator des Umweltgottesdienstes angesehen, dabei waren viele Bürgerinnen und Bürger aus den umliegenden Dörfern, Kirchenvertreter und Engagierte aus dem Einkehrhaus Bischofrod in die Vorbereitungen eingebunden, wie Herr Winkelmann auch immer wieder betonte. In das Gespräch flossen auch die Aussagen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ein, mit denen im Vorfeld der Veranstaltung gesprochen wurde.

​Der Ursprung des Engagements gegen die Mülldeponie kam aus Marisfeld: Eine Marisfelderin war im Frühjahr 1989 auf Bernd Winkelmann zugegangen, informierte diesen und zeigte den Umweltengagierten aus dem Einkehrhaus Bischofrod das Gebiet des Teufelsloches. Sie holte Fachleute wie Biologen ins Teufelsloch, um bspw. die Flora und Fauna aufzunehmen und die Einzigartigkeit der Landschaft zu erfassen. Gleichzeitig versuchte sie bei staatlichen Stellen Informationen zur geplanten „geordneten Deponie“ zu erhalten. Diese kamen aber nur spärlich.

Im Einkehrhaus Bischofrod und den unabhängigen Umweltgruppen in Suhl und Südthüringen kam dann der Gedanke einen Umweltgottesdienstes mit Demonstration zum „Teufelsloch“ zu veranstalten und ihren Protest gegen die geplante Mülldeponie auszudrücken.

Eine Gemeindeversammlung mit Vertretern des Bezirkes Suhl, des Kreises Suhl-Land und der Stadt Suhl am 12. April 1989 in Marisfeld sollte die Bürgerinnen und Bürger für die Mülldeponiepläne einnehmen. Die Versammlung erreichte jedoch das Gegenteil: die Marisfelder engagierten sich nun noch intensiver und kamen noch zahlreicher zum Umweltgottesdienst. Etliche ergriffen in der Gemeindeversammlung auch das Wort gegen die Deponiepläne. Am nächsten Arbeitstag wurden sie auf ihrer Arbeitsstelle unter Druck gesetzt, ihr Engagement fürs Teufelsloch einzustellen. Ein Zeitzeuge musste sich einen neuen Job suchen, da ihm gekündigt wurde. Wie Bernd Winkelmann nach 1990 erfuhr, hatte das Ministerium für Staatsicherheit über ihn einen Operativen Vorgang namens „Unkraut“ angelegt. Aufgrund seines Engagements in der unabhängigen Umweltbewegung und im Einkehrhaus Bischofrod waren darin Zersetzungsmaßnahmen gegen ihn beschrieben.

​Trotz hochsommerlicher Temperaturen lauschten knapp 30 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer, darunter auch Mitstreiter von damals, den Ausführungen zu dem Ereignis in der Region.

​Die Veranstaltung zum Umweltgottesdienst war der Auftakt für weitere Veranstaltungen anlässlich 35 Jahre „Friedliche Revolution in Suhl“. Als nächstes wird am Mittwoch 18.09.2024 um 18 Uhr, in der VHS Suhl eine Ausstellung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zur Friedlichen Revolution eröffnet. Sie sind herzlich eingeladen. Nähere Informationen finden Sie zu gegebener Zeit hier.

17.Juni 2024 - Gedenkveranstaltung zum 17. Juni in Arnstadt

Zu einem würdigen 71. Gedenktag für die Opfer des SED-Unrechts trafen sich auf Einladung der Präsidentin des Thüringerlandtags, Frau Birgit Pommer und des Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Dr. Peter Wurschi am 17. Juni 2024 viele Gäste im Rathaus Arnstadt. Im Arnstädter "Jahr der Demokratie" war es für die Stadt ein Anliegen, die Erinnerung an den Voksaufstand 1953 mit der Friedlichen Revolution von 1989 in Verbindung zu sehen. Schülerinnen und Schüler des „Melissantes“ Gymnasiums Arnstadt sprachen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen über deren Erinnerung an 1953 und 1989, familäres Erinnern und persönliches Geradestehen für politische Überzeugungen. In den Grußworten gingen der Bürgermeister Frank Spilling, die Präsidentin des Landtags, der stellvertretende Ministerpräsident Bernhard Stengele und der Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur auf den Wert von Demokratie und Freiheit ein. Beides ist nicht umsonst, sondern muss gegen antiliberale und totalitäre Auffassungen verteidigt werden. Der Mut der Menschen von 1953 und 1989 ist unser demokratischer Auftrag.

1. Juni 2024 - Katholikentag 2024

Katholikentag 2024 "und wir waren wirklich so naiv, dass wir dachten: Glauben hilft“. Unter diesem Thema trafen sich der Thüringer Landesbeauftrage mit vielen Interessierten zu einem WorldCafe. Anhand vier verschiedener Themen sprachen wir über den Alltag als Christ, den Glauben in der DDR, seine Möglichkeiten und Grenzen. Die Teilnehmenden gingen mit vielen Informationen aber auch offenen Fragen wieder in ihre Gemeinden zurück. Für weiterführende Informationen, steht der Landesbeauftragte und sein Team gerne zur Verfügung. Wer sich weiter über die Friedliche Revolution in Erfurt informieren möchte, schaut einfach unter Andreasstraße DIGITAL www.andreasstrasse.de

30. Mai 2024 - Ist Versöhnung möglich?

Im Rahmen des 103. Deutschen Katholikentags wurde am 30.06.2024, in der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße im Format: Film mit Gespräch der Frage nachgegangen: Ist Versöhnung möglich?

In der Dokumentation „Feindberührung“ (90 Min., 2011) ringen Stasi-Opfer (4,6 Jahre Haft) und Täter (IM „Hans Kramer“) 30 Jahre später um Versöhnung.

Einige der 45 Besucher sind sichtlich ergriffen: Der Film zeigt die DDR der 70er Jahre am Beispiel zweier „Freunde“. Hartmut Rosinger glaubt an den Sozialismus und begibt sich zur ESG, um dort „rückschrittliche“ Christen vom Sozialismus zu überzeugen. Aber er berichtet auch als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) “Hans Kramer” über Peter Wulkau, der einen Roman schreibt. Mit fatalen Folgen.

Das anschließende Gespräch geht in die Tiefe und endet erst nach weiteren 90 Minuten des Fragens an den „reuigen Täter“ Hartmut Rosinger, der äußert, nur aufgrund der Vergebung von Peter seinen Weg der Reue und Aufklärung bis heute weiter gegangen zu sein. Die Frage, ob er sich den Selbst-Verrat vergeben könne, lässt er offen. Peter Wulkau, der digital aus Bad Füssing zugeschaltet ist, sieht sich nicht als Opfer! Er war (auch) „Täter“, nur stand er auf der anderen Seite der „Barrikade“: gegen die Machtverhältnisse.

7. Mai 2024 - Die friedliche Revolution in der Provinz - Krise und Aufbegehren auf dem Land

Am 07.05.2024 hatte die Gesprächsreihe ihren Auftakt 2024 im Volkshaus Sömmerda. In der Veranstaltung wurden die letzten unfreien Wahlen in der DDR vor 35 Jahren am 7. Mai 1989 zum Anlass genommen, um über die Friedliche Revolution auf dem Land zu sprechen. Als Podiumsgäste waren Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff, Thüringer Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, Chef der Staatskanzlei und ab Ende 2019 zwei Jahre lang kommissarischer Minister für Infrastruktur und Landwirtschaft, Pfarrer i. R. Gisbert Stecher, einer der Protagonisten der Friedlichen Revolution in Sömmerda und Umgebung, und der Historiker Dr. Michael Heinz eingeladen.

​Zur Einführung des Publikums in das Thema hielt Dr. Michael Heinz, der intensiv zu den Themen Landwirtschaft und ländliches Leben in der DDR sowie zur Friedliche Revolution 1989/90 geforscht hat, einen überblicksartigen, bebilderten Vortrag zur Entwicklung der DDR-Landwirtschaft. Im Anschluss ging Dr. Heinz auch auf die Besonderheiten in der DDR-Landwirtschaft ein: die Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion (gab es nur in der DDR!), die hohe Tierkonzentration im Land, die wiederum Umweltprobleme verursachte, der Arbeitskräftemangel auf dem Dorf, der geplante Dorfumbau (u. a. mit Plattenbauten) aus ideologischen Gründen bei gleichzeitigem Verfall von Kleinstdörfern. Dennoch, eine Versorgung der DDR-Bevölkerung war durch die industrielle sozialistische Landwirtschaft allein nicht zu leisten. Hinzu kam, dass ein Großteil der tierischen Erzeugnisse in den Export ging, was auch zur Folge hatte, dass es 1982 in der DDR zu einer schweren Versorgungskrise mit Grundnahrungsmitteln kam. Bereits ab Ende der 1970er Jahre war die Privathaltung von Kleintieren und der private Anbau von Obst und Gemüse zum Verkauf der Produkte erlaubt worden. 30 % aller in der DDR verkauften Eier kamen aus Privathaltung, bei Kaninchenfleisch waren es sogar 100 %. Heinz erläuterte, dass dann der Investitionsstau, die veraltete Landtechnik, Personalmangel u. v. m. in den 1980er Jahren zu den ersten „Verfallserscheinungen“ in der DDR-Landwirtschaft führten. Als 1989 nach den Kommunalwahlen und der Aufdeckung der Wahlfälschungen durch DDR-Bürgerrechtler die Friedliche Revolution ins Rollen kam, war hiervon auf dem Land und im ländlichen Raum wenig zu spüren. Der These des Historikers, dass die SED den „Widerstand“ im Dorf mit diversen Aktionen in den Jahrzehnten zuvor, wie Enteignungen und Zwangskollektivierung, gebrochen hatte, kann nur zugestimmt werden.

​Im städtischen Raum entlud sich (friedlich) der revolutionäre Druck des Herbsts´89. In Sömmerda demonstrierten am 1. November 1989 erstmals ca. 1.000 Menschen gegen die Politik der SED. Nach der Grenzöffnung am 9. November 1989 folgten dann rasche Veränderungen. Landwirtschaftliche Proteste kamen jedoch erst spät auf. Ab Januar 1990 gab es bspw. Proteste von Genossenschaftsbauern gegen die Absatzkrise (durch wegfallende Subventionen und Warenüberschüsse) und die anstehende Währungsunion. Die DDR-Landwirtschaft geriet im Transformationsprozess in eine schwere Krise. Die LPG wurde ihre Produkte nicht mehr los, 80 % der Agrararbeiter arbeitslos. Den privatwirtschaftenden Ost-Bauern mangelte es zudem an Kapital für Investitionen.

Nach dem einführenden Impulsvortrag fragte der Moderator der Gesprächsreihe, Jens Roder bei den drei Podiumsgästen nach, wie sie die Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 und die Friedliche Revolution erinnern. Gisbert Stecher, damals Pfarrer in Rastenberg bei Sömmerda, erinnerte sich, dass sich damals 1989 vor allem viele junge Menschen in den Gesprächskreisen der Kirche, die Herr Stecher mitorganisierte, trafen. Im „Schutzraum“ Kirche war es möglich, sich vor allem zu politischen Themen auszutauschen. Am 11. Oktober 1989 fand in der Liebfrauenkirche in Rastenberg eine erste Oppositions-Veranstaltung statt, bei der zwischen 300 und 350 Menschen aus Rastenberg, Sömmerda und den Dörfern der Umgebung zusammenkamen. Aus dem der Kirche gegenüberliegenden Pfarrhaus konnte Pfarrer Stecher die Menschenmassen sehen und spürte sehr viel Kraft und Stärke in diesem Moment. „So einen Moment erlebt man nur einmal im Leben“, so Stecher. Eine Zeitzeugin aus dem Publikum erzählte, dass sie auch bei dieser Veranstaltung war und extra weit weg parkte, aus Angst gesehen zu werden. Diese erste große Kirchenveranstaltung war ganz sonderbar für sie. Sie war zugleich anwesend und nicht anwesend. Dr. Michael Heinz erinnerte sich an einen sehr spannenden Sommer 1989. Der Vater arbeitete in der LPG und war Mitglied der SED, hatte sich von der Partei aber bereits soweit innerlich entfernt, dass er sich bald im Neuen Forum engagierte.

Der Moderator fragte bei den Podiumsgästen nach, wie in der DDR bei den Kommunalwahlen gewählt wurde und wie die Wahlfälschungen erkannt wurden. Pfarrer Gisbert Stecher erinnert sich, dass damals wenig Wissen kursierte, wie überhaupt der Wahlzettel ungültig gemacht werden konnte. In der Jungen Gemeinde kursierten hierzu Informationen, die sich mündlich weiterverbreiteten (es mussten alle Namen auf der Einheitsliste durchgestrichen werden!). Bei der Kommunalwahl am 7. Mai 1989 beobachten Oppositionelle schließlich die Auszählung der Stimmen und befragten die Wähler nach der Wahl. Sie stellten Wahlmanipulationen fest, unter anderem wurden ungültige Stimmen als Ja-Stimmen gezählt und der Anteil der Nein-Stimmen nach unten korrigiert. Als Egon Krenz, Leiter der zentralen Wahlkommission am Abend die Zustimmung zur Einheitsliste mit über 98 % angab, glauben ihm viele nicht. Die Nachricht von Wahlfälschungen machte schnell die Runde und gab der Opposition und der Friedlichen Revolution viel Auftrieb.

​In der Auftaktveranstaltung der Gesprächsreihe „Land.Wirtschaft.Kollektiv. Wem gehört das Land?“ haben wir weniger über das Thema Protest und Aufbegehren auf dem Land gesprochen und mehr über die Kommunalwahlen und die Friedliche Revolution im Lokalen. Was nehmen wir mit aus der Veranstaltung? Minister Hoff machte sich stark dafür, die Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 auch als Thema in der Vermittlung von DDR-Geschichte an den Schulen in den Blick zu nehmen. Die Ereignisse in der DDR seit der Aufdeckung der Wahlfälschungen, die Selbstermächtigung der Bürgerinnen und Bürger von unten in der Friedlichen Revolution, der Mut vieler Einzelner war beeindruckend. Auch wenn die Erinnerungen an damals sich unterscheiden, kann die damalige Ambivalenz auch heute vermittelt werden. Dr. Michael Heinz, selbst auch im Nebenberuf Landwirt („Ohne Bauern, keine Zukunft!“), zog am Ende den Bogen zu den aktuellen Bauernprotesten. Das Erbe der Friedlichen Revolution ist, dass wir heute, in einem demokratischen Staat für unsere Anliegen demonstrieren können. Im Gegensatz zu 1989 können die Menschen heute auf der Straße demonstrieren, ohne Angst vor staatlichen Repressionen haben zu müssen.